Tragschrauber 
 

Halb Hubschrauber, halb Flächenflugzeug

Warum fliegen Tragschrauber?
Über den theoretischen Hintergrund gibt es zahllose, höllisch komplizierte Abhandlungen mit Formeln, an denen sich nur Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik erfreuen können. Ich versuche hier, das so zu erklären, dass es jeder versteht, der in der Schule in Physik aufgepasst hat. Betrachten Sie dazu bitte folgendes Bild eines einfachen Tragschraubers. Beachten Sie die schräg gegen den Fahrtwind geneigte Rotorscheibe!
Zum Vergleich die Kräfte, die an einem aerodynamischen Profil wirken:Horizontalflug

Die anströmende Luft (dunkelblau) erzeugt einen Widerstandsvektor (hellblau) in Anströmrichtung und einen Auftriebsvektor (rot), der per Definition senkrecht auf der Anströmrichtung steht. Auftriebs- und Widerstandsvektor spannen ein Parallelogramm auf und bilden den resultierenden Vektor der Gesamtkraft (grün), die das Profil bei der Anströmung erzeugt.

Bei Flugzeugen mit Motor im Horizontalflug wirkt der Propellerschub entgegen dem "bremsenden" Widerstandsvektor.

Wird der Anstellwinkel des Profils jetzt erhöht, ergibt sich folgendes Bild:

Steigflug

Das Parallelogramm ist also gleich geblieben, lediglich die Beträge der Kräfte haben sich geändert. Der Widerstandbetrag ist gewachsen und der Auftriebsbetrag ebenso. Mehr Widerstand bedeutet mehr erforderliche Motorleistung, mehr Auftrieb bedeutet mehr Steigen (oder weniger Sinken).

Stellen wir uns vor, die Tragflächen seien nicht fest am Flugzeug "angeschraubt", sondern über einen Rotorkopf drehbar gelagert, ergibt sich folgendes Bild:

Rotorkräfte

Der Auftriebsvektor versucht also über seine Komponente in der Rotorebene das Profil nach oben zu ziehen=das Rotorblatt nach vorne zu ziehen: Der Rotor wird beschleunigt! Dem entgegen wirkt die Komponente des Widerstandsvektors in der Rotorebene. Sind beide Komponenten gleich groß, bleibt die Rotordrehzahl konstant.

Weil Widerstand und Auftrieb untrennbar miteinander gekoppelt sind, bleibt die Rotordrehzahl während des Fluges weitgehend konstant: Reduziert sich der Anstellwinkel, sinkt der Widerstand zusammen mit dem Auftrieb und umgekehrt. Es herrscht Kräftegleichgewicht.

Die Grafik gilt für ein voreilendes Rotorblatt. Ein voreilendes Rotorblatt bekommt mehr Fahrtwind, ein zurückeilendes weniger. Die Rotordrehzahl muss also so hoch sein, dass auch beim zurückeilenden Rotorblatt die Anströmgeschwindigkeit noch so hoch ist, dass das Blatt keinen Strömungsabriss erleidet, auch nicht beim Startlauf, wo es durch die Fahrtzunahme des Gesamtsystems noch weniger "Wind auf die Profilnase" bekommt. Deshalb ist es zwingend erforderlich, den Rotor vor dem Start über eine kritische Mindestdrehzahl zu beschleunigen (Vorrotation, von Hand oder per "Prerotator"). Andernfalls ist kein Start möglich. Während des Startlaufs beschleunigt der Rotor mit zunehmendem Fahrtwind solange, bis der Auftrieb dafür ausreicht, den Tragschrauber in die Luft zu heben, genau wie bei einem Flächenflugzeug.

Warum fliegen Tragschrauber (meistens!) stabil und sicher?

Der Rotor ist ein Kreisel. Kreisel neigen dazu, ihre Lage im Raum beizubehalten. Wirkt auf einen Kreisel eine Kraft, "weicht er der Kraft aus", er präzediert. Eine an einem Kreisel angreifende Kraft wirkt immer 90° "später" (um 90° versetzt in der Drehebene).

Das voreilende Rotorblatt erzeugt mehr Auftrieb als das Rückeilende. Wäre es kein Kreisel, würde die Rotorebene nach lins kippen (i. d. R. eilt das rechte Blatt voran). Wegen der Kreiselwirkung wird der Tragschrauber jedoch vorne angehoben. Diesem Drehmoment um die Querachse wirkt ein mit zunehmendem "aufbäumen" ebenfalls zunehmendes Gegenmoment der Gewichtskraft entgegen (Fluzeugrumpf + Pilot + Motor + Leitwerk + Kraftstoff hängen wie ein Pendel an der Rotorscheibe).

Mehr Schub vom Motor bedeutet mehr Geschwindigkeit=mehr Auftrieb. Weniger (oder kein) Schub vom Motor bedeutet weniger Geschwindigkeit=weniger Rotordrehzahl=weniger Auftrieb. Reicht die Rotordrehzahl nicht mehr aus, die Flughöhe zu halten, geht der Tragschrauber in einen Sinkflug über: Der Anstellwinkel steigt wieder an, der Rotor wird auf Drehzahl gehalten. Ein Tragschrauber kann also niemals "überzogen" werden, er kann gar nicht anders, als sich seine Fahrt zu holen. Das Gleitverhältnis ohne Motorleistung beträgt etwa 1:4 (Segelflugzeuge haben bis zu 1:60), die Landerollstrecke beträgt aber nur 0 - 20 m, weil die Vorwärtsgeschwindigkeit dann sehr gering ist (20 bis 60 km/h typischerweise).

Wann verliert der Tragschrauber seine Stabilität?

Wenn der Rotor in einen negativen Anstellwinkel gerät, die Summe aus Luftströmung durch die Drehung um die Rotorachse und Fahrtwind also so sehr "schräg von oben" kommt, zieht die resultierende Auftriebskraft (bzw. deren Komponente in Rotorebene) das Blatt nicht mehr nach vorne, sondern nach hinten:

Sinkflug

Das Blatt wird also durch die Auftriebs- und (!) die Widerstandskraft abgebremst, bzw. die Auftriebskraft wird sehr klein im Verhältnis zur Widerstandskraft oder zeigt nach unten, wie im Bild dargestellt.

Das bremst den Rotor stark ab. Unterschreitet der Rotor seine kritische Mindestdrehzahl, kommt er auch nicht wieder auf Touren und der Pilot freut sich, wenn er ein funktionierendes Gesamtrettungssystem zur Verfügung hat.

Es gibt noch einen weiteren, unangenehmen Effekt. Im Normalflug schiebt der Propellerschub "zwischen" Rotorwiderstandsvektor und dem Widerstand von Pilot + Rumpf + Fahrgestell:

Wird der Anstellwinkel kleiner, sinkt zunächst auch der Widerstand des Rotors und geht auch gegen Null. Bei vollem Schub dreht der Tragschrauber also um das Zentrum seiner Widerstandskräfte: Der Tragschrauber kippt vorne über. Was schlagartig zu einem (sehr) negativen Anstellwinkel der Rotorblätter und zu den oben erläuterten, hässlichen Effekten führt.

Sind Tragschrauber sichere Fluggeräte?

Tragschrauber sind sichere Fluggeräte (mängelfreie Konstruktion und ordentliche Instandhaltung vorausgesetzt). Sie müssen nur immer mit gut positiver "Flächen-" / Rotorscheibenbelastung geflogen werden. So wie es im Straßenverkehr tödlich ist, in den Gegenverkehr zu lenken und bei Flächenflugzeugen tödlich ist, in geringer Höhe zu überziehen, ist es bei Tragschraubern tödlich, den Knüppel zu hart nach vorne zu nehmen, insbesondere bei Vollgas.

Bei schlechten Konstruktionen ist der kritische Punkt schnell erreicht, bzw. noch durch PIO (pilot induced oscillations, zu starkes Ziehen und Nachdrücken durch verzögerte und zu starke Reaktionen auf Bewegungen um die Querachse) gefördert.

Der richtige Umgang mit diesem Gerät muss deshalb trainiert werden.

Warum Tragschrauber so selten sind
Tragschrauber haben gegenüber dem Flächenflugzeug folgende Vorteile:
  • kein Überziehen
  • kein Trudeln
  • minimale Startstrecken (50 ... 200 m)
  • praktisch keine Landestrecke erforderlich
  • extremer Langsamflug möglich
  • geringere Festigkeitsprobleme
und folgende Nachteile:
  • mehr Widerstand (= weniger Geschwindigkeit / geringere Reichweite)
Tragschrauber haben gegenüber dem Hubschrauber den Vorteil, dass sie nur etwa 10% der Anschaffungs- und 10% der Betriebskosten erreichen. Nachteil: Sie können nicht Hovern (im Stillstand fliegen), seitwärts und rückwärts fliegen und auch nicht senkrecht Starten und Landen (von Sonderkonstruktionen abgesehen). Eine Bergung von Personen oder Lasten ist unmöglich.

Vergleich technischer Daten zweisitziger Tragschrauber

Mehr über Tragschrauber erfahren finden Sie über meine Link-Seite!

 
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